Überraschungen gab es am 15. Juli im Moskauer Luzhniki Stadion keine und damit auch keinen Umsturz der alten Ordnung. Stattdessen jubelte am Ende die talentiertere Mannschaft nach einem packenden Finalspiel gegen den Emporkömmling Kroatien, das mit 24 Stunden weniger Regenerationszeit und 90 Spielminuten mehr in den Beinen auf das Feld gekommen war.

Nach einem aufregenden Monat hat die Weltmeisterschaft mit der Partie zwischen Frankreich und Kroatien ein würdiges Ende genommen. 20 Jahre nach dem furiosen Triumph von „Blanc, Beurre, Noir“ krönte sich die Equipe Tricolore zum zweiten Mal.

„Sorry! Sie sind jung und glücklich“, sagte Weltmeistertrainer Didier Deschamps wie ein stolzer Vater. Deschamps hatte allen Grund nachsichtig mit seiner Elf zu sein. Die meisten seiner Spieler sind jünger als 25 und finden sich bei der WM 2022 im besten Fußballalter wieder, um die Mission Titelverteidigung zu starten.

„Unsere Kinder werden sehr stolz sein“, sagte Antoine Griezmann. Sein Offensivpartner Kylian Mbappe dürfte ebenfalls vor Stolz platzen. Nach dem legendären Pele ist der 19-Jährige der zweite Teenager, der in einem WM-Finale treffen konnte. Pele war 17, als er im WM-Finale 1952 im WM-Finale gegen Schweden traf. Mbappe markierte gegen Kroatien das 4:1, mit einem Rechtsschuss aus 25 Metern. Der Star von Paris St. Germain kam nur wenige Monate nach Frankreichs bislang einzigen Weltmeisterschaftssieg zur Welt.

Kroatien bewies sich trotz der 4:2-Niederlage dennoch bockstark. Dabei ist die Balkan-Nation das nach Einwohner zweitkleinste Land nach Uruguay, dass je ein WM-Finale erreichte. Nun lässt sich darüber streiten, ob Frankreich bei diesem Turnier seinen besten Fußball gespielt hat, aber es lässt sich nicht bestreiten, dass sie den Titel verdient haben. Die französische Equipe ist sicherlich die talentierteste Elf.

Frankreich hat das Endspiel gespielt, wie jedes andere Duell davor: vorsichtig, ökonomisch und immer so, als ob sie in den richtigen Momenten noch eine Schippe drauflegen könnten. Alles unter Anleitung von Trainer Didier Deschamps. Er ist erst der dritte Mensch, dem es gelang die Weltmeisterschaft sowohl als Trainer als auch als Spieler zu gewinnen. Damit gesellt er sich zu Brasiliens Mario Zagallo und Franz Beckenbauer. Vor genau 20 Jahren reckte Deschamps den Pokal als Kapitän Frankreichs gen Himmel.

Unter strömendem Regen verliehen Russlands Präsident Vladimir Putin und Weltverbands-Präsident Gianni Infantino der französischen Auswahl die Goldmedaillen. Goldkonfetti klebte an den klitschnassen Spielern, als sie die Trophäe auf dem Rasen des Lushniki-Stadions zum Jubel in die Luft hielten. Ein letzter Akt bei dem Turnier, bei dem es Kroatien erstmals ins Finale schaffte und Fußballmächte wie Brasilien, Deutschland und Argentinien früh nach Hause mussten.

In Frankreich war am Finalabend die Stimmung losgelöst. An die 100.000 Menschen feierten am Fuße des Eifelturms. Der WM-Titel war Wiedergutmachung für die Final-Niederlagen bei der EM 2016 gegen Portugal und im WM-Finale 2006 gegen Italien.

Doch dieser WM-Sieg heilt jetzt alle Wunden, vermutlich ist er sogar noch bedeutender. „Wir können es nicht so richtig begreifen“, sagte Antoine Griezmann, der zum besten Spieler des Finals gewählt wurde. „Ich habe den Jungs gesagt, sie sollen es genießen. Sie sind jetzt ein Leben lang Weltmeister“, meinte Deschamps, der auf der Pressekonferenz die Dusch-Attacke der Spieler genüsslich über sich ergehen ließ.

Genießen kann darf den Triumph freilich auch Olivier Giroud, und das obwohl er in Russland nicht einen Treffer erzielte. „Wenn wir gewinnen und ich treffe nicht, dann ist mir das egal. Wichtig ist, dass wir Weltmeister werden“, so der Chelsea-Angreifer. Dennoch ist seine Turnier-Bilanz mehr als mau. Nicht einen einzigen Torschuss gab er während des gesamten Wettbewerbs ab.

Deschamps aber setzte auf seinen Mittelstürmer. Doch warum? Giroud brachte nebst seiner Erfahrung auch eine gehörige Portion Teamgeist in die Mannschaft. „Wenn ich ein Tor mache, ist das gut, aber vor allem anderen stelle ich mich in den Dienst der Mannschaft“, sagte er auf einer Pressekonferenz in Russland.

Die Kritik aber prasselte heftig auf ihn. Giroud aber dürfte das gewohnt sein. Schon vor der Europameisterschaft in Frankreich, war Deschamps gezwungen, den Spieler in Schutz zu nehmen. Giroud zahlte das Vertrauen in seine Person zurück. In einem Testspiel gegen Paraguay schnürte er daraufhin den ersten Dreierpack seiner Nationalmannschaftskarriere.

Und auch wenn es Giroud in Russland in 546 Spielminuten nicht gelang, ein Tor zu erzielen, brachte er jede Menge Routine in das Spiel der Equipe Tricolore. Mit 31 Toren für die Nationalelf ist er der drittbeste Torschütze in der Geschichte der Grande Nation. Nur Michel Platini und Thierry Henry waren erfolgreicher.

Im Vergleich zu seinen Mitspielern wirkt er oft behäbig. Kein Wunder bei einer Körpergröße von 1,92 Metern. „Man kann von ihm nicht verlangen, dass er sich den Ball nimmt und drei Leute ausspielt“, sagte Deschamps einmal über den Hünen.

In Russland fand Giroud mit seinen Offensivkollegen meist nicht zusammen. Aber in der eigenen Hälfte war auf ihn Verlass, unterstützte er die starke Defensive doch mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. „er arbeitet viel, es ist super für uns“, fand Matuidi für seinen Teamkollegen lobende Worte nach dem Halbfinalsieg gegen Belgien.

Die Statistik gibt Matuidi recht. In sieben Spielen lief Giroud 56,4 Kilometer, klärte zehn Bälle, foulte 14 Mal. Allerdings ließ er sich auch 51 Mal den Ball abnehmen. Der Weg von der Sturmspitze zurück ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. „Auch die Defensive ist ein Vergnügen, wenn einer für den anderen da ist“, so der Spieler. Mit der WM hat er sich nun einen Kindheitstraum erfüllt. „Ich war die letzten zehn Minuten auf der Bank, und als der Abpfiff kam, sind alle Dämme gebrochen. Ich bin einfach gerannt und habe geweint. Wir fielen zu Boden und explodierten vor Freude“, so der 31-Jährige.

Eins aber ist noch schuldig: Vor dem Turnier hatte er angekündigt, sich eine Glatze schneiden zu lassen, sollte es ihm gelingen mit Frankreich den Titel zu holen. „Ich werde meine Wette einlösen und mir den Kopf rasieren lassen“, versprach Giroud mit einem Aber: „Bitte erst nach der Taufe meines dritten Kindes!“